GUDRUN MITTERMEIER
„Seeheim"
„Ich finde nichts schlimmer, als an der Oberfläche zu bleiben, lieber gehe ich bei dem Versuch unter, den Dingen auf den Grund zu gehen, als sie zu verleugnen.“
Nein, sie geht nicht unter. Im Gegenteil. Gudrun Mittermeier geht den Dingen auf den Grund, findet Erstaunliches und Seltsames, das sie in ihrem neuen Album „Seeheim“ zum Ausdruck bringt.
Sie taucht auf mit der Sprache Ihrer Herkunft, um sie aufzubrechen und mit der gängigen Sprache der Popmusik zu verschmelzen. Songs, bei denen der englische Text sich einschmiegt in ein Bayrisch das weich und sanft Geschichten erzählt. Geschichten die die Tiefen des Menschseins und Frauseins ausloten, wo Stolz, Liebe, Trauer und Wut das Panorama bilden.
Ein Album in zwei Sprachen, voll Melancholie und sensibler Poesie, das dunkel und doch federleicht daherkommt, das gleichzeitig berührt und mitreißt.
„Manche Songs wollten englisch sein“, sagt Gudrun Mittermeier über ihr neues Album, das von Udo Rinklin produziert wurde. Dabei hat die Singer-Songwriterin vor vier Jahren erstmals ein ganzes Album auf bayerisch eingesungen, nachdem sie sich seit 2001 unter dem Namen Somersault stets der Popsprache Englisch bedient hatte.
Und tatsächlich beweist sie auch auf dem neuen Album schon im ersten Lied „Heaz Steht“ die lyrische Ausdruckskraft der bayerischen Sprache, die sie hier singt, flüstert und atmet, lautmalerisch entfaltet und beschwörend zum Zauberspruch erhebt. Als Klangspiel schwebt ihr Gesang, von allen Sprachgrenzen befreit, durch eine Landschaft aus Tönen, die ihrerseits wie ein, von Instrumenten gemaltes Vexierbild anmutet. Da pulsiert die Gitarre wie eine tickende Uhr, Streicher steigen wie Bodennebel aus Keyboardflächen empor, gekrönt von majestätischen Hörnern, derweil eine E-Gitarre das Geschehen gleich einem kleinen Lichtkegel zu sondieren scheint.
Doch schon das zweite Lied „Chaos Ahead“ ist eines von jenen Songs, die, wie Mittermeier sagt, englisch sein wollen. Was die in München lebende Sängerin freilich nicht davon abhält, auch in diesen Song ein paar bayerische Zeilen zu pflanzen. Und erneut experimentiert Mittermeier mit dem Klang ihres Gesangs, der gleichberechtigt zum Klangspiel des Klaviers, Schlagzeugs und Cellos verschiedene Klangräume durchstreift.
Und bald schon wird klar, so selbstverständlich wie die Sängerin hier die gesungenen Sprachen mischt, so mehrsprachig und vielfältig ist auch ihr gesamtes musikalisches Schaffen auf diesem Album.
Solche Mehrsprachigkeiten kommen vor allem dort zur Geltung, wo der Produzent Udo Rinklin und Gudrun Mittermeier ihre, auf herkömmlichen Instrumenten gespielte Musik, mit einer computergenerierten Musik vereinen. Es stehen fantastisch arrangierte und live eingespielte Streicher und Bläser neben sphärischen Synthieklängen, lebendige Live Drums neben Elektronischen Beats, große Chöre neben stiller Intimität.
Kaum nämlich, dass Mittermeier sich für die tontechnischen Möglichkeiten eines Abletons begeistert hatte, besuchte sie die Electronic Music School in Berlin, wo sie die Sounds eines solchen elektronischen Instruments noch weiter auslotete.
Am kompromisslosesten lebt sie nun ihre neue Electronic-Leidenschaft auf dem von ihr mitproduzierten, letzten Track „Transformation“ aus.
Ansonsten vereint sie die elektronische mit der akustischen Musik dergestalt, dass oft nicht mehr zu unterscheiden ist, ob die elektronische Musik aus der akustischen hervorgeht, oder ob umgekehrt gar die akustische Musik die elektronischen Vorgaben weiter entwickelt.
Und obwohl Mittermeier platzbedingt schon einige eigene Songs nicht mehr unterbringen konnte, überrascht sie auf diesem Album auch noch mit einer Fremdkomposition.
Dafür hat sie Niels Freverts „Du Kannst Mich An Der Ecke Rauslassen“ nicht nur ins bayerische übertragen, sondern textlich und musikalisch regelrecht neu gestaltet. So dass Frevert sich von Mittermeiers Fassung gleich an einer ganz anderen Ecke rausgelassen sah und begeistert sein Okay für die Veröffentlichung von „An der Eckn rauslassn“ gab.
Gudrun Mittermeier hat ihr musikalisches Spektrum erweitert und elektronischen Klängen mehr Raum gegeben. Das hört man und das tut ihren Songs sehr gut. Es sind feine atmosphärische Klangflächen und Soundteppiche in subtiler Grundierung, die da entstehen. Sounds, die ihren Texten eine zusätzliche Ebene geben und die Stärke ihrer Sprache wirken lassen.
Ihre Stimme klingt so rein und klar – sie schwebt und fliegt – man möchte sich reinlegen und damit in den Himmel segeln. Schön wärs…